Pyridostigmin

Wirkstoff
Pyridostigmin
Handelsname
Mestinon®, Kalymin®
ATC-Code
N07AA02

Zulassung
Dosierungsempfehlungen

Präparate
Pharmakodynamik und -kinetik
Nierenfunktionsstörungen
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Kontraindikationen
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen

Wechselwirkungen

Überdosierung
Wirkstoffe der gleichen ATC-Klasse
Referenzen
Änderungsverzeichnis

Pharmakodynamik

Pyridostigmin ist ein indirektes Parasympathomimetikum und wird vorrangig als Antimyasthenikum eingesetzt. Es hemmt reversibel die Acetylcholinesterase - das Enzym, das Acetylcholin metabolisiert und inaktiviert. Folglich wird die Acetylcholin-Konzentration im synaptischen Spalt erhöht und es kommt zu einer verstärkten und verlängerten Acetylcholin-Wirkung an der motorischen Endplatte. Pyridostigmin, als quartäres Ammoniumsalz passiert aufgrund seiner geringen Lipidlöslichkeit nicht die Blut-Hirn-Schranke und zeigt vorrangig periphere Wirkungen.

Pharmakokinetik bei Kindern

Es sind keine spezifischen Informationen für Kinder vorhanden.

Zulassung der Dosierungsempfehlungen

  • Myasthenia gravis
    • oral
      • ≥1 Monat bis <2 Jahre: off-label
      • ≥2 Jahre bis <18 Jahre: zugelassen

Auszug aus Fachinformation Auszug aus Fachinformation

Textauszug aus Fachinformation

Oral bei Myasthenia gravis

Kinder:

  • Anfangsdosis: 1 mg/kg KG in 4 Einzeldosen (entsprechend 4 mg/kg KG pro Tag)
  • Die Dosis wird bis zur gewünschten Wirkung täglich in kleinen Schritten gesteigert.
  • Üblicherweise liegt die tägliche Dosierung bei 30-360 mg
  • Maximale Tagesdosis: 360 mg

[Ref.]

Präparate im Handel

Tabletten 10 mg, 60 mg
Überzogene Tabletten 60 mg
Retardtabletten 180 mg
Injektionslösung 5 mg/ml

Allgemein

Die im Handel befindlichen Präparate enthalten Pyridostigmin in Form von Pyridostigminbromid. Die Angabe der Wirkstoffkonzentration und Dosierung ist jeweils auf Pyridostigminbromid bezogen.

Orale Anwendung

Präparate im Handel:

Präparat Darreichungsform Stärke als Pyridostigminbromid
Problematische Hilfsstoffe Altersangabe
Kalymin® 10 N Filmtabletten 10 mgT0,M
Lactose,
Polysorbat 80
Kinder
Kalymin® 60 N Filmtabletten 60 mgT2,M
Lactose,
Polysorbat 80
Erwachsene
Mestinon® 10 Tabletten 10 mgT0
Lactose Kinder
Mestinon® 60 überzogene Tabletten 60 mgT0 Sucrose Kinder
Kalymin® retard Retardtabletten 180 mgT2,M0 - k.A.
Mestinon® retard Retardtabletten 180 mgT1,M0 - Erwachsene


T2: teilbar in zwei gleiche Dosen, T1: nur teilbar zur erleichterten Einnahme, T0: nicht teilbar, M: mörserbar, M0: nicht mörserbar, k.A.: keine Angabe

Anwendungshinweis: Pyridostigmin mit Flüssigkeit einnehmen.

Parenterale Anwendung

Präparate im Handel:

Präparat Darreichungsform Stärke Applikationsweg Natriumgehalt Altersangabe
Kalymin® forte Injektionslösung 5 mg/ml i.v. <23 mg/ml Erwachsene
Mestinon® 5 Injektionslösung 5 mg/ml i.v.
i.m.
s.c.
<23 mg/ml k.A.


k.A.: keine Angabe

Lieferengpässe/weitere praktische Informationen

Lieferengpässe für Humanarzneimittel in Deutschland (ohne Impfstoffe)

Dosierungsempfehlungen

Myasthenia gravis
  • Oral
    • 1 Monat bis 18 Jahre
      [1]
      • In Abhängigkeit von der Wirksamkeit Dosis schrittweise titrieren auf 1 - 7 mg/kg/Tag in 6 Dosen.
      • übliche Tagesdosis: 30 - 360 mg/Tag

        <2 Jahre: off-label

Nierenfunktionsstörungen bei Kindern > 3 Monate

GFR ≥10 ml/min/1.73m2: Dosisanpassung nicht erforderlich.

GFR <10 ml/min/1.73m2: Eine allgemeine Empfehlung zur Dosisanpassung kann nicht gegeben werden.

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen allgemein

Wie alle cholinergen Produkte kann Pyridostigmin unerwünschte Wirkungen auf die Funktion des autonomen Nervensystems haben.
Muskarinerge Nebenwirkungen können sein: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Bauchkrämpfe, gastrointestinale Hypermotilität sowie vermehrte Bronchialsekretion, Hypersalivation, Bradykardie und Miosis.
Die primären nikotinergen Effekte sind Muskelkrämpfe, Faszikulationen und Muskelschwäche.

Folgende schwerwiegende UAW wurden selten, sehr selten (<0,1 %) oder mit unbekannter Häufigkeit beobachtet:

  • psychopathologische Symptome bis hin zur Psychose; bereits bestehende Symptome können verstärkt werden
  • Arrhythmie (einschließlich Bradykardie, Tachykardie, AV-Block), Prinzmetal-Angina

[Ref.]

Die vollständige Auflistung aller unerwünschter Arzneimittelwirkungen ist den aktuellen Fachinformationen zu entnehmen.

Kontraindikationen allgemein

  • mechanische Verschlüsse der Verdauungs- oder Harnwege
  • bei erhöhtem Tonus der Bronchialmuskulatur (z. B. bei Asthma bronchiale, spastischer Bronchitis)
  • bei Entzündungen des Auges (Iritis)
  • Stillzeit

[Ref.]

Die vollständige Auflistung aller Kontraindikationen ist den aktuellen Fachinformationen zu entnehmen.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen allgemein

  • Mit (besonderer) Vorsicht, bzw. nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung anzuwenden bei:
    • Patienten mit obstruktiven Atemwegserkrankungen wie Bronchialasthma und chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen (COPD)
    • Patienten mit Arrhythmien wie Bradykardie und atrioventrikulärem Block (AV-Block)
    • Myokardinfarkt, dekompensierter Herz-Insuffizienz
    • Hypotonie
    • Vagotonie
    • peptischem Ulkus, Ulcus ventriculi
    • Patienten nach Magen-Darm-Operationen
    • Diabetes mellitus
    • Epilepsie
    • Morbus Parkinson
    • Schilddrüsenüberfunktion
    • Nierenfunktionsstörungen. Für Patienten mit Nierenerkrankungen können niedrigere Dosierungen erforderlich sein.
    • Thyreotoxikose
  • Bei Einnahme sehr hoher Dosen Pyridostigminbromid kann die Verabreichung von Atropin oder anderen Anticholinergika erforderlich sein, um dem muskarinergen Effekt gezielt entgegenzuwirken ohne den nikotinergen Effekt zu beeinträchtigen.

[Ref.]

Die vollständige Auflistung aller Warnhinweise ist den aktuellen Fachinformationen zu entnehmen.

Wechselwirkungen

Interaktionspartner Grund Handlungsempfehlung
Nicht-depolarisierende Muskelrelaxantien (z. B. Rocuronium, Pancuronium, Vecuronium)
Pyridostigmin antagonisiert die Wirkung nicht-depolarisierender Muskelrelaxantien. Die durch Pyridostigmin erhöhten Acetylcholin-Konzentrationen können zu einer Verdrängung der stabilisierenden Muskelrelaxantien aus der Bindung an die Nikotinrezeptoren der motorischen Endplatte führen. Wirkabschwächung bei Kombination sollte bedacht werden.
Depolarisierende Muskelrelaxantien (z. B. Suxamethonium/Succinylcholin) Pyridostigmin hemmt den Abbau von Suxamethonium durch die Acetylcholinesterase. Dies kann zu einer verlängerten Wirkdauer von Suxamethonium führen. Anwendung mit Vorsicht, wenn möglich Pyridostigmin vor Operationen mit Einsatz von Muskelrelaxantien absetzen.
Beta-Blocker (z. B. Propranolol) Additive Hemmung auf kardiale Reizweiterleitung möglich. Risiko der Bradykardie sollte bedacht werden.


Die vollständige Auflistung aller Wechselwirkungen ist den aktuellen Fachinformationen und einschlägigen Wechselwirkungsdatenbanken zu entnehmen.

PARASYMPATHOMIMETIKA

In diesem Abschnitt werden Arzneistoffe der gleichen ATC-Klasse zum Vergleich aufgelistet. Arzneistoffe der gleichen ATC-Klasse sind nicht per se untereinander austauschbar. Die Aufzählung darf daher nicht uneingeschränkt als Therapiealternative verstanden werden.

Cholinesterasehemmer

Neostigmin

Prostigmin
N07AA01

Referenzen

  1. Meda Pharma BV, SmPC Mestinon (RVG 03820) 29-10-2020
  2. MEDA Pharma, SmPC Mestinon® 5 mg/ml Injektionslösung (6037144.00.02), 08/2015
  3. Hormosan Pharma, SmPC Kalymin® 10 N 10 mg Filmtabletten (3000611.00.00), 02/2018
  4. Hormosan Pharma, SmPC Kalymin® 60 N 60 mg Filmtabletten (3000612.00.00), 02/2018
  5. MEDA Pharma, SmPC Mestinon® 10 mg Tabletten (6037144.00.01), 08/2015
  6. MEDA Pharma, SmPC Mestinon ® 60 mg überzogene Tabletten (6037144.00.00), 08/2015
  7. MEDA Pharma, SmPC Mestinon retard 180 mg/Retardtablette (5338.00.00), 08/2015
  8. Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN), Leitlinie (S2k) Diagnostik und Therapie der Myasthenia gravis und des Lambert-Eaton-Syndroms, AWMF, Stand: 01.09.2014 (in Überarbeitung), gültig bis 31.08.2019

Änderungsverzeichnis

  • 26 Februar 2021 12:11: Neue Monographie

Therapeutisches Drug Monitoring (TDM)


Überdosierung

Bei einer Überdosierung von Pyridostigmin kann es zur cholinergen Krise kommen, die eine intensivmedizinische Überwachung erforderlich macht. Wird eine solche Situation verkannt, so besteht wegen muskulärer Atemlähmung Lebensgefahr. Die cholinerge Krise muss von der myasthenen Krise unterschieden werden, die aufgrund einer Verschlechterung der Erkrankung auftreten kann. Sowohl die cholinerge als auch die myasthene Krise können sich in einer ausgeprägten oder gesteigerten Muskelschwäche äußern.

  • Symptome:
    • Muskarinerge Effekte: Hypersalivation, Lakrimation, Rhinorrhoe, leichtes bis starkes Schwitzen, vermehrte Bronchialsekretion, Bronchospasmus, Hautrötung, Miosis und Akkommodationsstörungen, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, erhöhte Peristaltik und Durchfall, unwillkürliche Miktion und Defäkation mit abdominellen Krämpfen, extreme Bradykardie bis zum Herzstillstand, Blutdruckabfall bis zum Kreislaufkollaps, periodische Sinustachykardie, Lungenödem.
    • Nikotinerge Effekte: Gelegentliche Muskelkrämpfe, Faszikulationen, Adynamie, generelle Schwäche bis hin zur Lähmung, die in besonders schweren Fällen zu einer Apnoe und zerebralen Anoxie führen kann.
    • Zentralnervöse Symptome: Unruhe, Verwirrtheit, verwaschene Sprache, Nervosität, Gereiztheit und visuelle Halluzinationen. Konvulsionen und Koma können auftreten.
  • Therapie:
    • Acetylcholinesterasehemmer sofort absetzen. Medikamentenpause für 3 bis 4 Tage.
    • Bei erheblicher Atemdepression künstliche Beatmung.
    • Atropingaben (1 bis 2 mg Atropinsulfat) langsam intravenös (alle 5 bis 30 min falls erforderlich) und Dosisreduktion nach klinischen Gesichtspunkten (insbesondere der Pulsfrequenz).
    • Keine Plasmatherapie.
    • Bei starker Verschleimung: intensive Bronchialtoilette, Flüssigkeit i.v., Sekretolytika, ggf. Broncholytika.
    • Vorsichtiger Wiederaufbau der Acetylcholinesterasehemmer-Therapie, z. B. Beginn mit 0,5 mg Pyridostigminbromid parenteral alle 4 bis 6 Stunden oder 4-mal 20 mg Pyridostigminbromid oral.
    • Bei Akkommodationsstörungen: Mydriatika, z. B. Tropicamid (Druckkontrolle!).

[Ref.]